Offener Brief an Cem Özdemir und Kevin Kühnert - Die Welt ist schlecht? - Anmerkungen eines Gastarbeiterkindes

Assunta Tammelleo - Foto: Dieter Schnöpf
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Sehr geehrter Herr Özdemir, sehr geehrter Herr Kühnert,
 
wie so viele habe auch ich aus den Zeitungen erlesen, dass Sie sich Sorgen machen. In einem Fall ist der Anlass die eigene Tochter, die von Menschen männlichen Geschlechts und migrantischer Herkunft begafft und sexistisch angemacht wird; im anderen Fall wird festgestellt, dass homophobe Anfeindungen von „muslimisch gelesenen Männergruppen“ häufiger sind als vom Gesamtdurchschnitt von Männergruppen hierzulande. Da stellen sich dem Gastarbeiterkind in mir zwei Fragen: die erste ist die Frage, wie die migrantische Herkunft von Gaffern und Anmachern wohl festgestellt werden konnte bzw. was „migrantische Herkunft“ im konkreten Fall bedeutet? Vermutlich sind Schweizer, Österreicher, Engländer und Franzosen eher nicht gemeint, oder? Und die zweite Frage ist die, was genau „muslimisch gelesene Männergruppen“ sind bzw. wie man eine Männergruppe muslimisch liest? Nicht jeder Mann mit schwarzem Vollbart darf „muslimisch gelesen“ werden (und noch dazu, was soll diese „muslimische Lesart“ denn aussagen?). Nun, es wird vermutlich beides unbeantwortet bleiben… .
 
Aufgewachsen bin ich als „Neger“-Kind am Stadtrand von Stuttgart, wo ich auch geboren wurde. Mein Vater, schwarzhaarig, olivgebräunt das ganze Jahr über, schwarze Augen und feiner Schnurrbart war ein Gastarbeiter – er wurde als „Neger“ gelesen und ist aus Süditalien zum Arbeiten nach Baden-Württemberg gekommen. Zur Zeit meiner Geburt (1961) waren die italienischen Gastarbeiter die „Spaghettifresser“ und „Itaker“, die von den ordentlichen, die Kehrwoche lobpreisenden schwäbischen Häuslebauern als arbeitsscheu „gelesen“ wurden. Es war eine Kindheit und Jugend, die von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung und Geringschätzung geprägt war.
 
Ebenso wie die Fremdenfeindlichkeit war die Geringschätzung der Frauen Tatsache in der Bundesrepublik meiner Kindheit und Jugend, die es immerhin 1977 dann geschafft hat, dass verheiratete Frauen ohne Zustimmung ihrer angetrauten Ehegatten einer außerhäuslichen Beschäftigung nachgehen durften. Höchstrichterlich verfügt war in der Bundesrepublik auch Jahrzehnte lang die sexuelle Bestimmung des Ehemannes über die Ehefrau Fakt „(…) Ein Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1966 macht deutlich, wie weit der Weg war, den das bundesrepublikanische Bewusstsein zurückzulegen hatte bis zum Abend des 15. Mai 1997 (Gesetz zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe; die Verf.):‘Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt. Wenn es ihr (…) versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen.(…)‘; Zitat aus Frankfurter Rundschau (…)“. Die Geringschätzung der Frauen, die Betrachtung von Frauen als Sexobjekt zur beliebigen eigenen Nutzung hatte Tradition in der Bundesrepublik… Eine solche Haltung ist - höchstrichterlich gesegnet - im Rechtsstaat angeordnet gewesen, ist wegen der langjährigen Übung unter Männern in diesem Land heute noch zu finden und nichts, was ausschließlich Männern mit Migrationshintergrund bzw. vermeintlich muslimischer Prägung vorgeworfen werden kann.
 
Dasselbe gilt für die Homophobie. Ebenso wie die Geringschätzung und Verachtung von Frauen ist auch sie Ausdruck von jahrhundertealter religiöser Prägung. Gerade das hierzulande sagenhaft privilegierte Christentum mit seinen Mandatsträgern kann im heutigen bundesdeutschen Rechtsstaat – in dem die Trennung von Staat und Kirche nicht vorhanden ist – homophobe und frauenfeindliche Haltungen immer noch staatlich subventioniert öffentlich kundtun, in den eigenen Reihen pflegen und in den staatlich bezahlten Kindergärten, Schulen und Universitäten lehren. Da geben sie sich wenig, die drei großen monotheistischen Religionen, wo ja die Christen von den Juden und die Muslime von beiden anderen abgeschrieben haben… Die sich in Bezug auf Frauen, Homosexuelle, Anders- oder Nicht-Gläubige schon mal sehr einig wissen. Und von Seiten der deutschen Politik nichts zu befürchten haben.
 
Anstatt sich – ohne echte Prüfung der Fakten - auf das Pferd mit aufzuschwingen, das Rechtspopulisten in diesem Land schon lange aufgestellt und gesattelt haben – tönen Sie beide aktuell als politische Mandatsträger in dasselbe Horn – vielleicht in der Sorge, dass womöglich der rechte Gaul ohne Sie los galoppiert. Ihnen unterstellen muss ich leider, dass Sie das aus politischen Gründen tun und vermutlich sogar gegen besseres Wissen. Einen Gefallen tun Sie unserem Rechtsstaat und seiner Bevölkerung damit nicht. Im Gegenteil.
 
Einen schönen Sonntag noch, freundliche Grüße

Assunta Tammelleo

Im Ehrenamt tätig:

Stadträtin Stadt Wolfratshausen

Trägerin der Verdienstmedaille der Bayerischen Justiz

Vorsitzende bfg mÜnchen www.bfg-muenchen.de

Vorsitzende Kulturverein Isar Loisach www.kulturverein-isar-loisach.de

Vorsitzende Das Andere Bayern www.dasanderebayern.de